5. Stimmen von heute

Unsere Familie fühlt sich jetzt schon in der dritten Generation dieser Kirche und dieser Gemeinde verbunden: Meine Schwiegereltern leben hier schon lange, mein Mann ist hier konfirmiert, und unsere Kinder kommen hier praktisch seit ihrer Geburt in die Krabbelgruppe, in die Kinderspielgruppe, in die Kindergruppe.

Es ist so schön, dass ich das Gefühl habe, ganz selbst gestalten zu können, was ich in der Gemeinde machen möchte. Hier drängt mich niemand: Nun machen Sie mal was! Oder: Wo waren Sie denn Sonntag? Ich gehe z.B. nicht gern in normale Gottesdienste. Dort fühle ich mich immer so verloren und suche mühsam nach der Bedeutung in der Liturgie. Ich weiß oft nicht, worum es geht. Es ist für mich nicht nachvollziehbar.

Aber ich habe auch sehr gute Erinnerungen an Gottesdienste, z.B. zu Weihnachten. Meine Kinder warten schon auf den Weihnachtsgottesdienst; er gehört dazu. Und dann die Taufen meiner beiden ältesten Söhne! Die Taufen waren witzig und interessant und mit Leben erfüllt. Ich lebe gern hier in Barmbek, und die Kirche gehört für mich dazu.

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Vor gut 20 Jahren zog ich nach Barmbek, und es lag mir sehr daran, dass meine Familie und ich hier in der Großstadt nicht ganz anonym lebten. Ich wollte auf der Straße Leute grüßen, und unsere Kinder sollten mit Gleichaltrigen gemeinsam aufwachsen.

Von Kindheit an gewöhnt, suchte ich auch hier das kirchengemeindliche Leben mit seinen Gottesdiensten und seinem Kirchenchor.

So wurde ich bald Chormitglied in der Auferstehungskirche.

Inzwischen haben sich die Kontakte verstärkt. Neben Chor und Frauengruppe ist auch der jährliche Basar ein beliebter Treffpunkt für die ganze Familie. Besonders freue ich mich, dass ich hier eine Gruppe von Flötenspielerinnen gefunden habe. Unsere Mädchen hatten ebenfalls Freude in den Flötengruppen und bei den Kinderbibelwochen, und auch Konfirmation wurde hier gefeiert.

Unsere Auferstehungskirche finde ich schön, obwohl mich die Grautöne im Altarraum stören. Das Gemeindehaus bietet gute Möglichkeiten für größere Veranstaltungen.

Für Zusammenkünfte im kleinen Kreis könnte ich mir manches optimaler denken in einem kleineren, hellen, freundlichen Raum.

Aber was wäre das Leben ohne Wünsche ..... !

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Seit 1951 lebe ich in Barmbek und bin auch damals gleich zur Kirche gegangen. Sie war ja viel voller damals, und wir Frauen hatten viele „Ämter": Jeden Sonntag haben wir den Altar geschmückt, und während der Gottesdienste haben wir die Kinder betreut. Wir sind auch in fremde Häuser gegangen und haben für die Kirche geworben, d.h. für Spenden. Das kann man ja heute gar nicht mehr. Heute macht ja niemand mehr auf. Die Bibelstunde übrigens haben wir zuerst im Kirchenvorraum gehalten. Das Gemeindehaus war ja noch zerstört.

Die zweite Dame lebt erst seit 1978 mit der Gemeinde: Ich erfahre hier Freundschaft und Gemeinschaft. Zuerst in Barmbek habe ich nur mit meiner Familie gelebt. Das war mir genug. Als dann kurz nacheinander meine Mutter und mein Mann starben, hatte ich hier niemanden. Da ist die Gemeindehelferin auf mich zugekommen und hat gefragt: Was vermissen Sie denn am meisten? Spontan habe ich geantwortet: Das Kartenspielen!

Über das Kartenspielen im Häuschen habe ich Freundinnen gefunden. Die Gemeinsamkeit - auch in den gemeinsamen Problemen - ist für mich Medizin. Hier ist jemand für mich da. In letzter Zeit haben wir manche Gespräche über biblische Geschichten geführt, sie mit unserem Leben verglichen und einander zugehört. Das war eine große Bereicherung.

Gespräch mit zwei Damen aus der Altentagesstätte

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Fast mein ganzes Leben lang wohne ich schon direkt gegenüber der Kirche. Hier bin ich groß geworden, der Tieloh mit der Kirche, das ist meine Heimat.

In meiner Kindheit war der Kirchgarten für uns ein idealer Spielplatz: Wir haben uns vorgestellt, in einem Schlosspark zu sein, wir waren die Prinzessinnen, und die Kirche war das Schloss. Damals standen um die Kirche und im Garten noch mehr Bäume und Büsche; alles war verwunschen und romantisch und so recht zum Spielen geeignet.

Ich war auch mit meiner Mutter und meiner Schwester zum Einschulungsgottesdienst: Da war ich das einzige Kind, das gekommen war, das war meiner Mutter sehr peinlich. Der Konfirmandenunterricht war auch ganz anders, als die Erwachsenen es von früher kannten: Wir haben uns vorgestellt, wir sind kleine Atome und müssen uns zu Molekülen zusammenfinden, und wir standen in unserer Phantasie auf einem hohen Felsen ohne Seil, um uns herabzulassen, und sollten nach und nach unser Zeug opfern, um daraus ein Seil zu knüpfen. Manche standen dann in Unterwäsche da.

Während des Konfirmandenunterrichtes mussten wir auch Gottesdienste besuchen. Ich erinnere mich, dass wir uns auf die hinterste Bank gesetzt und heimlich geraucht haben. Hinterher hat uns ein Gottesdienstbesucher angesprochen und gesagt, das sei "Gotteslästerung". Ich habe ein ganz schlechtes Gewissen bekommen.

Ich freue mich, dass ich hier gegenüber der Kirche wohne: Am Sonntag beim zweiten Läuten muss ich aber wirklich aufstehen. Hoffentlich bekommt die Kirche nie neue Glocken, denn gerade diesen Klang kenne ich so gut, und er gehört zu meiner Heimat. Auch freue ich mich immer über die schönen Birken gegenüber: eine grüne Oase mitten in der Stadt.

Und: Hier steht die Kirche, hier werden keine hohen Häuser gebaut!

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Ich bin 1947 - mit knapp 10 Jahren - zur Gemeinde gekommen. Besonders gelockt haben mich - wie viele andere Kinder damals auch - die Filmnachmittage im Kirchenvorraum. Man konnte entweder mit 10 Pf. bezahlen oder mit 2 Ziegelsteinen. die wir vorm Kino in den Trümmern suchen und putzen mussten. Später gab es dann neue Steine. Wir haben damit einen ganz erheblichen Beitrag zum Bau des damaligen Jugendraumes geleistet.

Die Jugendarbeit war sehr umfangreich und lebendig damals, einmal weil es hier natürlich keine anderen Aktivitäten gab, aber besonders weil der Jugenddiakon ­ eine stadtteilbekannte Persönlichkeit mit seinem einen Bein auf dem besonders umgebauten Mofa - Jugendliche persönlich ansprach. Mit ihm machte es einfach Spaß. Es gab bis zu 10 Jugendgruppen, die so klangvolle Namen wie Löwe, Tiger, Panther oder Leopard trugen. Diese Gruppen lebten besonders von den gemeinsamen Unternehmungen. Die Gemeinde hatte 10 Zweimannzelte - Jugendherberge war noch verpönt - und wir fuhren mit dem Fahrrad überall hin. Später hatten meine Freunde und ich eine eigene Gruppe, die sich 'Schar Ansgar' nannte. Auch wenn die Gruppe dann auseinanderging aus den verschiedensten Gründen, eine ganze Reihe meiner ehemaligen Freunde sind jetzt wieder 'bei Kirchens' engagiert.

Seit 1947 verbrachte ich ein Großteil meiner Zeit in der Gemeinde, war so eine Art Faktotum und Hilfskirchendiener, und nun nahte die Konfirmation - nein, erst noch die Taufe. Beinahe wäre ich nicht konfirmiert worden, denn am Unterricht habe ich fast gar nicht teilgenommen, denn ich "arbeitete" ja sowieso fast jeden Tag hier und war sonntags in der Kirche. Eben vor der Konfirmation ging Pastor Tute nach Chile, und sein Nachfolger wollte mich nicht konfirmieren. Ein gemeinsamer Beschluss aller Pastoren der Gemeinde machte es dann doch noch möglich!

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Woran ich denke, wenn mir die Kirchengemeinde Nord-Barmbek und die Auferstehungskirche in den Sinn kommen?

Da fallen mir sofort gleich mehrere wichtige Ereignisse meines Lebens ein.

Die erste Dichterlesung, zu der meine Buchhandlung eingeladen hat, war die Dichterlesung mit Ingeborg Drewitz 1982. Es waren 73 Personen da: Jede einzelne war mir wichtig. Ingeborg Drewitz las aus 'Eis auf der Elbe'. Ich mochte sie sehr, und es ergab sich ein lebendiger Kontakt. Leider ist sie kurz darauf gestorben.

Eine weitere, aufregende Dichterlesung, die meine Buchhandlung zusammen mit der Geschichtswerkstatt veranstaltete, war die mit Ralph Giordano. Ich glaube, ich darf gar nicht sagen, wie viel Menschen im Großen Saal des Gemeindehauses waren, er platzte förmlich aus allen Nähten. Kurz nach Beginn der Lesung kam noch eine liebe Kundin, fast direkt aus dem Krankenhaus, und wir haben das ganze Gemeindehaus nach einem Stuhl abgesucht.

Im Jahre 1993 habe ich mit meiner Familie einen bewegenden Familiengottesdienst zum Erntedank mitgefeiert. Meine Kinder waren zum ersten Mal dabei, sie wurden sozusagen in die Kirche eingeführt - und bei uns saß mein Vater, mit dem ich zum letzten Mal in der Kirche war.

Freude und Schmerz, berufliche und private Unternehmungen, alles fällt mir sofort ein und verbindet mich mit der Auferstehungskirche und Nord-Barmbek.

Ulrich Hoffmann

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Erste Eindrücke 1943

Meine Klassenkameradin von der Lehrerbildungsanstalt, Lisa Stender, lud mich zu einem Wochenendbesuch ein. Das Wochenende begann damals sonnabends nach 13 Uhr. Nach der Ausbombung hatten ihre Eltern ein Behelfsheim, eine sogenannte Ley-Bude, erhalten, die auf deren Parzelle des Kleingartenvereins in Steilshoop / Schwarzer Weg aufgestellt worden war: Ein Zimmer mit Kochgelegenheit, daneben durch Holzwand und Vorhang getrennt ein schmaler Raum mit zwei hintereinander stehenden Etagenbetten. Schlafgast an diesem Wochenende: Ingeborg Lindemann, 16 Jahre alt. Lisa Stender war Kindergottesdiensthelferin in der Auferstehungskirche zur Zeit von Gemeindehelferin Bienutta und Pastor Saß. Am Sonntag sollte der Kirchenchor im Gottesdienst singen. Lisa hatte mich schon zur Probe angemeldet, und der Kantor, Ulrich Busse, freute sich über die Verstärkung des Chores. Wer hätte damals ahnen können, dass ich einmal seine direkte Nachfolgerin im Amt sein würde?

Berufung nach Nord-Barmbek

Nach dem plötzlichen Tod meines Vorgängers im Amte des Organisten der Auferstehungskirche, Wilhelm Matthies, wurde ich 'amtlich' für den Organistendienst in der Kirchengemeinde Nord-Barmbek ausgeliehen. Am Pfingstsonntag, 25. Mai 1958, trat ich mit neuer Gottesdienstordnung nach Agende 1 meine Organistenvertretung an. Da dann auch der Kantor Ulrich Busse 1959 das Pensionsalter erreicht hatte, wurde die Kantoren- und Organistenstelle der KG Nord-Barmbek zum 1. April 1959 ausgeschrieben. In die engere Wahl kamen von 22 Bewerbern zwei Herren und ich. Vor dem Probespiel, der Vorstellung in der Chorleitung und dem Gemeindesingen hörte ich - natürlich nicht direkt - "Wie soll eine Frau die viele Arbeit schaffen" - "Wird sie nicht bald wieder gehen?" -"Heiraten?" Also lieber keine Langhaarige!

Und nun wurde sie doch gewählt und hielt durch - hat auch nach 10 Dienstjahren in Barmbek noch geheiratet - war durch nichts zu erschüttern und hat gut 30 Jahre in Nord-Barmbek mit viel Freude ihren Dienst getan.

Die Orgel

Wo stand in Hamburg 1947/48 eine der klanglich interessantesten Orgeln? Am Tieloh in der Auferstehungskirche in Nord-Barmbek! Wir Studenten der Kirchenmusik pilgerten dorthin. Mein Vorgänger im Amt des Organisten, Wilhelm Matthies, und der landeskirchliche Orgelbausachverständige, Kirchenmusikdirektor Friedrich Bihn, hatten aus der Walcker-Orgel mit vormals romantischem Klang durch Abschneiden der Pfeifen und Umintonation einen barocken Klang gezaubert. So war die Orgelliteratur speziell der norddeutschen Meister (Buxtehude, Böhm, Bruhns) und Bachs Werke mit größerem Farbreichtum darzustellen.

Viele Jahre später - ich war längst Organistin und Kantorin in Nord-Barmbek - wurde die Orgel 'unberechenbar'. Mit einem Trauergottesdienst sollte unser Kirchenrendant, Herr Gößwein, von allen geachtet und wegen seines Schalks im Auge von vielen geliebt, zur letzten Ruhe geleitet werden. Beim morgendlichen Einspielen zur Trauerfeier fing die Orgel an zu heulen. Ich suchte den Fehler, konnte ihn nicht beseitigen und rief Herrn KMD Bihn an. Er eilte mit der U-Bahn herbei und suchte und suchte den Heuler - vergeblich. Da stampfte er voll Unmut kräftig auf die Windlade und sagte seufzend .So'n Schiet".  Der Heulton verstummte! - Der Trauergottesdienst verlief ohne Nebentöne. Dieses Ereignis gab den letzten Anstoß zum Orgelumbau 1965. Unsere Orgel wurde jetzt auf drei Manuale erweitert und elektrifiziert. Nach erfolgter Renovierung wollte ich für den ersten festlichen Gottesdienst üben ­ traf unseren Küster Kraschinski, der mich entsetzt ansah und meinte: "Üben wollen Sie? Die Orgel geht doch jetzt elektrisch!" Ich nahm ihn bei der Hand und spielte ihm einen "Bach". Sein Ausspruch darauf: "Das ist ja wirklich Arbeit!".

Kirchentag in Hamburg 1981

In der Programmvorschau hatte ich geübte Sänger zu Probe und Konzert von doppelchörigen Werken von Schütz und Mendelssohn eingeladen. Wenn niemand käme, hätten auch meine Chöre das Konzert musizieren können. Es war noch viel Zeit bis zur Probe, da hörte ich: "Im Gang zwischen Tieloh und dem Eingang zum Großen Saal stehen die Sänger und Sängerinnen in Viererreihen - sicher viel zu viele für unseren Gemeindesaal!" Also: Alle Sänger in die Auferstehungskirche. Zu Beginn der Probe war jeder Platz in der Kirche unten und der ganze Altarraum besetzt.

Wie sollte ich diese große Sängerschar - bald 500 Kehlen - in 'Stimmung' bringen? Als ich in die Kirche kam, wurde ich mit Applaus und Rufen: "Sie tut es - sie macht es" zur Kanzel, meinem Notenpult, geleitet. Menschenmassen haben mich noch nie geschreckt. Die Probe nahm ihren Lauf. Bachs vierstimmiger Satz "Lobe den Herren" klang überwältigend. Aber wie die Massen für die schwierigen Doppelchöre einteilen? Ich bat: "Bitte, nur Sänger, die diese einchörigen Stücke sicher beherrschen, auf die Orgelempore." Etwa 100 'Sichere' bewegten sich nach oben. Die Disziplin der großen Sängerschar war beeindruckend. Aber der Imbiss, den ich angekündigt hatte? Wie - und vor allem was? Herr Pastor Tsang wirkte mit seinem Team und zauberte mit Vorgriff auf das morgendliche Frühstück ein Essen - ganz biblisch - die Speisung der ca. 500.

Doch was machen wir um 21 Uhr mit den Konzertbesuchern? Platz für die Zuhörer war nur noch auf der Empore. In übervoller Kirche erklangen nach erlebnisreicher Probe die doppelchörigen Werke und erfreuten die Zuhörer und besonders die geübten Sänger, die sich mit im Garten gebrochenen Zweigen von Jasmin bei mir bedankten. Ein unvergessliches Ereignis für alle: letzte Grüße des Dankes erreichten mich Weihnachten 1981.

Ingeborg Brendel

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Kriegsdienstverweigerung

In meiner Jugendgruppe war die Wiederbewaffnung ein wichtiges Thema, und zwar durchaus kontrovers diskutiert. Der Diakon war zwar nicht Militarist, aber die Kriegszeit war für ihn so wichtig und prägend, dass ein Land ohne Soldaten für ihn nicht vorstellbar war. Ich dagegen hatte mich aus vielen Gründen, besonders aber auch bestimmt durch meine Auffassung vom Christentum, entschlossen, den Kriegsdienst zu verweigern. Ich gehörte zum ersten Jahrgang, der wieder Soldat werden sollte. Ich habe trotz der unterschiedlichen Auffassungen den Diakon und meinen Klassenlehrer, einen vaterländisch gesinnten Christen, gebeten, Zeugnis abzugeben für meine Gewissensgründe. Das war für die Kommission so überzeugend, dass die 'mündliche Prüfung' nach drei Minuten vorbei war.

Das hat mich sehr geprägt, dass man in dieser Gemeinde meine Meinung respektiert hat, auch wenn man sie nicht teilte. An anderer Stelle habe ich das später weiterzugeben versucht.

Ich denke gern an die Zeit, als Nord-Barmbek für mich Heimat war.